KIUrious
Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine - zwei Jahre danach
Im Juni 2023 wurde der Kachowka-Staudamm in der Südukraine zerstört. Zwei Jahre später sind die Folgen der Katastrophe am Dnipro noch immer spürbar. Umweltphilosophin und KIU-Alumna Dr. Tetiana Gardashuk spricht über den schwierigen Wiederaufbau der Region, die Rolle von Wasser als Kriegswaffe und Ansätze zur nachhaltigen Zukunftsgestaltung.
Vor zwei Jahren wurde der Kachowka-Staudamm in der Ukraine zerstört. Weite Landstriche wurden überflutet, Siedlungen und landwirtschaftliche Flächen zerstört. In vielen Regionen brach die Trinkwasserversorgung zusammen. Welche Nachwirkungen hat die Katastrophe bis heute?
Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms 2023 hat langfristige Folgen, viele davon sind bis heute noch kaum absehbar. Das betrifft im Grunde alle Bereiche, die Sie sich vorstellen können – die Umwelt und Wirtschaft, die humanitäre Lage vor Ort und die demographische Entwicklung der Region.
110.000 Menschen und 60.000 Gebäude waren von der Flut betroffen. An vielen Orten – etwa in Cherson – gibt es bis heute keine sichere und stabile Wasserversorgung. Das ist eine humanitäre Tragödie. Auch wirtschaftlich ist der Schaden enorm: Nach vorläufigen Schätzungen des ukrainischen Ministeriums für Umweltschutz und natürliche Ressourcen beliefen sich die wirtschaftlichen Verluste infolge der Zerstörung zu Beginn des Jahres 2025 auf 14 Milliarden US-Dollar.
Die Katastrophe hatte auch unmittelbare Auswirkungen auf die Umwelt. Schon davor waren die Sedimente des Stausees mit einer großen Menge an Schadstoffen angereichert. Man sprach von einer „giftigen Zeitbombe“. Mit dem Bruch des Staudamms sind die Gifte in die Umgebung gelangt, haben landwirtschaftliche Flächen, die Vegetation und sogar das Ökosystem im nordwestlichen Schwarzen Meer verseucht. 450 Tonnen an Öl und Schmiermittel wurden in die Umwelt gespült. Und das sind nur ein paar Beispiele.
Wie sind die Aussichten für den Wiederaufbau der Region?
Für mich ist es momentan schwierig, von einem ganzheitlichen Ansatz für den Wiederaufbau zu sprechen. Teile der Region stehen noch unter russischer Besatzung, andere sind weiterhin umkämpft. Bevor ein Wiederaufbau möglich wird, gibt es außerdem noch andere Dinge zu tun: Die Zerstörung des Staudamms ist ein Kriegsverbrechen. Es müssen Mechanismen für die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen gefunden werden. Das Ganze hat also über die Ukraine hinaus auch eine politische Dimension auf internationaler Ebene. Außerdem gibt es in der Region natürlich auch verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Interessen und Werten.
Was meinen Sie damit konkret?
Man kann von verschiedenen Blickwinkeln auf die Region und ihre Zukunft schauen: Es gibt humanitäre, wirtschaftliche, ökologische, kulturelle Perspektiven.
Die ukrainische Regierung und der Energiesektor wollen das Kachowka-Wasserkraftwerk wieder aufbauen – für die Stromerzeugung, Bewässerung von Ackerflächen und zur Wirtschaftsförderung der Region. Das setzt allerdings die Befreiung der besetzten Gebiete voraus. Ob und wie dieser Wiederaufbau geschehen wird, ist momentan also noch unklar und muss diskutiert werden.
Einige NGOs hingegen setzen für die Wiederherstellung des natürlichen Flusslaufs des Dnipro und die Renaturierung der umliegenden Gebiete ein.
Und dann gibt es noch die Menschen vor Ort. Für sie sind der Dnipro und die umliegenden Gebiete mehr als nur ein Fluss – sie stehen für das Mutterland, für die eigene Herkunft, für Teile ihrer Identität.
Auch ist der Dnipro für einen Teil der lokalen Bevölkerung wirtschaftliche Lebensgrundlage, er sichert Arbeitsplätze, beispielsweise in der Fischerei.
Vor allem aber wollen die Menschen vor Ort einfach in Sicherheit leben – geschützt vor militärischen Angriffen und Umweltkatastrophen. Gleichzeitig brauchen diese Menschen auch eine stabile Wasser- und Stromversorgung. Will man die Region wieder aufbauen, muss all das also miteinbezogen werden. Ich finde es wichtig, eine Politisierung der Debatte um die Zukunft der Region zu vermeiden und stattdessen sachlich über Lösungen nachzudenken.
Welche Rolle spielt die Umwelt – und insbesondere Wasser – im Krieg?
Die Zerstörung wasserbezogener Infrastruktur und der eingeschränkte oder sogar vollständige Verlust des Wasserzugangs werden im hybriden Krieg Russlands gezielt als Waffe eingesetzt. Kachowka ist also kein Einzelfall, sondern Teil einer Strategie.
Zum Beispiel kappten russische Truppen schon im April 2022 die Wasserversorgung in der ukrainischen Stadt Mykolajiw ab, das ist eine Stadt mit etwa 500.000 Einwohnern. In den Regionen Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine sind viele Gebiete seit Beginn der vollumfänglichen Invasionen unter Beschuss und teils monatelang ohne Wasser- oder Stromzugang.
Die Zerstörung ziviler Wasserinfrastruktur und die Aggression gegen die Ukraine ist nach internationalem Recht illegal und eine eklatante Missachtung des Völkerrechts und internationaler Abkommen. Humanitäre und ethnische Normen werden ignoriert. Der wichtigste Schritt, um dieses Vorgehen zu stoppen, ist klar: Der Krieg muss so schnell wie möglich beendet werden. Nur ein gerechter Frieden kann die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Schäden langfristig begrenzen.
Als Umweltphilosophin beschäftigen Sie sich mit der Rolle von Flüssen für Mensch und Umwelt. Auch Environmental Peacebuilding ist ein zentraler Bestandteil Ihrer Forschung. Worum geht es dabei und welchen Beitrag kann dieser Ansatz für die Zukunft der Region leisten?
Die Frage nach der Zukunft des Kachowka-Wasserkraftwerks ist nicht nur technischer oder organisatorischer Natur. Sie wirft auch ethische und ganz existentielle Fragen auf. Es geht um soziale und ökologische Gerechtigkeit und Visionen für die Zeit nach dem Krieg. Environmental Peacebuilding denkt Umwelt und Frieden zusammen und möchte Konflikte um Land und natürliche Ressourcen gewaltfrei lösen. Es geht kurz gesagt darum, die unterschiedlichen Perspektiven aller Beteiligten im Prozess zu berücksichtigen, um gemeinsam friedliche Lösungen für die Zukunftsgestaltung zu finden. Denn wie ich schon gesagt habe, kann man aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Region schauen. Da die Ukraine weiter im Krieg ist und die Region umkämpft bleibt, ist es natürlich schwierig, über konkrete Projekte für den Aufbau der Region zu sprechen. Aber egal von welchen Plänen oder Projekten wir sprechen – die Grundlage dafür ist ein dauerhafter, gerechter Frieden.
Expertin:
Dr. Tetiana Gardashuk, Dr. habil. in Philosophie, ist Umweltphilosophin an der Nationalen Akademie der Wissenschaften in Kyiv. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt „The Value of Rivers, Instrumentalization Practices, and the Future of the Kakhovka HPP Area“ untersucht sie die Rolle von Flüssen, die Instrumentalisierung von Wasserinfrastruktur und mögliche Wege für den Wiederaufbau kriegszerstörter Regionen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Gebiet rund um das Kachowka-Wasserkraftwerk in der Südukraine.